Liquiritia officinalis. Süßholz. Leguminosae.

Name: Glycyrrhíza glábra L. (= Liquiritia officinalis Moench). Gemeines, Spanisches oder Deutsches Süßholz, Lakritzen. Französisch: Réglisse, régalisse, riglisse, boix doux, bois sucré, racine douce; englisch: Liquorice, sweet-wort; italienisch: Liquirizia, ligorizia, ligurizia, uguirizia, legorizia, regolizia, reglizia, legno dolce, radice dolce; dänisch: Lahrids; norwegisch: Lakris; polnisch: Lukrecja; russisch: Lakriza; schwedisch: Lakritsrot; tschechisch: Lékořice hladkopladá, sladké dřevo; ungarisch: édesgvöker.

Namensursprung: Glycyrrhiza kommt vom griechischen γλνχ_ς (glykýs) = süß und __ζα (rhiza) = Wurzel. Von dem schon im Altertum gebräuchlichen Namen leiten sich die meisten romanischen Bezeichnungen ab. Die später aufgekommenen Namen Liquiritia, Lakritzen oder Likrizen usw. stellen lediglich Umwandlung von Glycyrrhiza dar. Das sanskritische mudhu bedeutet ebenfalls Süßigkeit, süß. Das lateinische glabra = klebrig kennzeichnet die durch Drüsen harzigklebrigen Blätter.

Botanisches: Das Süßholz ist ein ausdauerndes Kraut mit kräftigem, holzigem Wurzelstock von Fingerdicke, der außen braun, innen schmutzig-blaßgelb gefärbt ist und süß schmeckt. Er treibt eine Anzahl fingerdicker Wurzeln und aufrechte, ästige Zweige. Diese werden gewöhnlich meterhoch, können aber auch noch höher werden. Unten sind die Zweige stielrund, weiter oben kantig. Die wechselständigen Blätter sind unpaarig gefiedert und bestehen aus drei bis sieben Paaren von kurzgestielten Blättchen. Diese sind eiförmig, stumpf, ganzrandig, 2-5 cm lang und halb so breit. Die Oberseite ist kahl, die Unterseite klebrig. Die Blüten bilden langgestielte Trauben, die die Länge ihres Tragblattes nicht erreichen. Die lila Schmetterlingsblüten haben eine weißliche Fahne. Der Kelch ist zweilippig, die zwei Zipfel der Oberlippe sind verwachsen, die drei der Unterlippe frei. Die Frucht ist eine braune, kahle, drei- bis viersamige Hülse von 1-2 cm Länge. Die Pflanze blüht vom Juni bis in den August. Ihre Heimat ist das südliche Europa, wo sie auf grasigen Plätzen und in lichten Gebüschen vorkommt. Hie und da wird das Süßholz bei uns kultiviert. Es gedeiht am besten auf Sand- und Lehmboden in wärmeren Gegenden, verträgt aber keinen Kuh- und Pferdemist.

Geschichtliches und Allgemeines:

Das Süßholz wurde von den alten Griechen und Römern (Hippokrates, Theophrast, Dioskurides, Plinius, Celsus, Scribonius Largus u. a.) sehr geschätzt. Auffallend ist es, daß die Wurzel bei den Hippokratikern nur äußerliche Verwendung fand. Theophrast, Dioskurides und Celsus rühmen übereinstimmend den Saft der Wurzel als Hustenmittel und bei Rachenkatarrh mit Mandelentzündung. Nach Dioskurides ist die aus dem Saft bereitete Salbe ein gutes Wundmittel. Bei den Indern spielte das Süßholz beim Liebeszauber eine Rolle. Eine Abkochung der Süßholzwurzel und der Süßtee (Gymmostemna cissoides) wird nach Tschirch auch zum Bade Buddhas bei dessen Geburtstag am achten Tage des achten Monats benutzt. Am Morgen dieses Festes wird die Statue des Gottes in eine Kufe gesetzt und von den Betenden dreimal mit einer Kelle Tee begossen. Die abtropfende Flüssigkeit wird gesammelt und als Heilmittel geschätzt. Der Anbau des Süßholzes in Europa ist jüngeren Datums, da es noch in den Pflanzenlisten des früheren Mittelalters fehlt. So geht die Süßholzkultur in Italien wohl nur bis in das 13. Jahrhundert zurück. Nach England soll die Droge zuerst im Jahre 1264 eingeführt worden sein. In Deutschland erwähnt Konrad von Megenberg (14. Jahrhundert) zum ersten Male den Lakritzensaft. In den mittelalterlichen Kräuterbüchern wird der Saft oder die Abkochung der Wurzel allgemein bei Heiserkeit, Husten, Atembeschwerden, Schwindsucht und Seitenstechen empfohlen. - Schon im Mittelalter wurde der griechische Name Glykyrrhiza in den Offizinen in das barbarolateinische Liquiritia, das sich für die vielgebrauchte Wurzel bis heute erhalten hat, umgewandelt. In Bamberg wurde die Süßholzkultur im 15. Jahrhundert eingeführt und war im 16. Jahrhundert schon sehr ausgedehnt. Noch heute ist das Süßholz ein Wahrzeichen der Stadt. (Auf dem Zweidlerschen Stadtplan figuriert ein Süßholzzweig). Auch in der Mongolei wird das Süßholz (Glycyrrhiza uralensis) gegen Krankheiten der Lunge und der Blutgefäße angewandt.

Das Süßholz wird in zwei Formen gehandelt, und zwar geschält und ungeschält. Die in Europa gebräuchliche ungeschälte Droge wird als spanisches Süßholz (Radix Liquiritiae hispanica), die geschälte dagegen als russisches Süßholz (Radix Liquiritiae russica sive moscovitica) bezeichnet. Außer als Arzneimittel, Geschmackskorrigens und Pillenkonstituens werden Liquiritaeextrakte auch noch bei der Herstellung von Zuckerwaren, Kautabak (Amerika), Porter und Ale (England) verwendet. China und Japan gebrauchen Succus Liquiritiae auch in der Tusche- und Tintenfabrikation. Zu den ersten Schaumfeuerlöschern wurde von Laurent im Jahre 1906 Liquiritiasaft wegen seiner schaumbildenden Eigenschaft zugesetzt.

Wirkung

Süßholz ist eine der am längsten bekannten Drogen und fand schon - nach einem ägyptischen Papyros - Jahrtausende v. Chr. bei Katarrhen der Atmungsorgane Anwendung (Kroeber, Das neuzeitl. Kräuterbuch, S. 338.).

Hieronymus Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 344.) und Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 218 C.) rühmen die Süßholzwurzel als Expektorans, Nieren- und Blasenmittel, auch bei Leber- und Magenerkrankungen.

Eine "vorzügliche Kraft wider alle Schärfe der Säfte", zur Linderung der Grießschmerzen und bei Brustbeschwerden schreibt ihr v. Haller (v. Haller, Medicin. Lexicon, 1755, S. 911.) zu, der aber vor zu häufigem Gebrauch warnt, weil der süße Schleim Magen und Gedärme schlapp machen und Blähungen hervorrufen könne. Sie hat expektorierende und mild laxierende Wirkung (Marfori-Bachem, Lehrb. d. klin. Pharm., S. 503.).

Außerdem wird sie noch bei Nephro- und Cystopathien, insbesondere Strangurie, und bei Seitenstechen gebraucht (Culpepers English Physician and Compl. Herbal, S. 24.).

In China ist Radix Liquiritiae unter dem Namen Kan-ts-ao als Geschmackskorrigens, Giftbinde- und Gegengiftmittel bekannt (Tsutomu Ishidoya, Chinesische Drogen, Teil II, S. 41.).

Über die Verwendung in der mongolischen Medizin bringt Hübotter (Hübotter, Beiträge zur Kenntnis der chinesischen sowie tibetisch-mongolischen Pharmakologie, S. 82, Wien 1913.) folgenden Abschnitt:

"Teils hilft es, teils wärmt es, es wirkt auf die Oberfläche, es wirkt auf das Innere, es kann nach oben treiben und auch hinabtreiben.

Geschmack süß. Ungekocht gebraucht, ebnet es das Pneuma, hilft Milz und Magen, aber reicht nicht aus, um das Feuer des Herzens zu kühlen und zu löschen. Gekocht gebraucht wärmt es das Pneuma, hilft den drei Thoraxpartien (chinesisches Schriftzeichen) sowie dem Urpneuma und beseitigt Kälte der Körperoberfläche. Im Inneren bewirkt es Eintracht und erhöht so die Wirkung. Es drängt den Schweiß nach innen und löst so die (Hitze) des Fleisches; es drängt die Kälte nach innen und kühlt so fehlerhafte Hitze; es treibt Feuchtigkeit nach innen, ernährt das weibliche Prinzip und das Blut, Es kann als Adjuvans (chines. Schriftzeichen) alle Medizinen in sich aufnehmen, ohne sie in ihrer Wirksamkeit zu irritieren. Es bringt Fleischansatz hervor, stillt Schmerzen, es macht durchgängig die zwölf großen Körpergefäße und macht unschädlich das Gift von 100 Kräutern.

Altbewährtes Mittel; aber bei Wassersüchtigen usw. kontraindiziert. Groß und dick ist die gute Qualität; zur Unterstützung der inneren Organe wird es gekocht angewendet; um das Feuer zu kühlen, roh. Die Spitzen wirken harntreibend. Es ist Adjuvans zu (chinesisches Schriftzeichen); es verträgt sich nicht mit (chinesisches Schriftzeichen), doch wird es trotzdem bisweilen zusammen gebraucht."

Als hauptsächlich wirksamer Bestandteil der Süßholzwurzel wird das Glycyrrhizin, das in ihr zu etwa 5,3-7% (Tschirch u. Eriksson, Arch. 1911, Bd. 249, S. 144; Cederberg, Farm. Tidskr. 1927, nach Apoth.-Ztg. 1927, Nr. 42, S. 1131.) (andere Untersucher fanden sogar bis 14%) enthalten ist. Als weitere Inhaltsstoffe werden angegeben: 9,25% Stickstoffsubstanz, bis 3,5% Fett, wenig Gerbstoff, viel Stärke (bis über 30%), ein ätherisches Öl (etwa 0,03%), l-Asparagin, bis 10% Bitterstoffe, 4,12% Harze, Äpfelsäure (?) und Oxalsäure (A. Tschirch, Handb. d. Pharmakognosie, Liefg. 19, S. 167, Leipzig 1936.). Glammona (Glammona, Ann. Chim. appl., nach Pharm. Weekbl. 1929, Bd. 66, S. 991.) wies in der frischen sizilianischen Wurzel 1,38% Glukose und 3,183% Saccharose, in der getrockneten 2,373% Glukose und 5,40% Saccharose nach. Das Glycyrrhizin besitzt verschiedene mit den Saponinen übereinstimmende Eigenschaften, insbesondere schäumen wäßrige Flüssigkeiten beim Schütteln sehr stark. Nach Kobert (Kobert, Ber. Dtsch. pharm. Ges. 1915, S. 162.) wirkt es selbst nicht hämolytisch, dagegen aber das Natriumsalz der Glycyrrhetinsäure, die das Glycyrrhizin begleitet, noch in einer Verdünnung von 1 : 5000. Innerlich genommen, ist das Glycyrrhizin völlig ungiftig, bei subkutaner Injektion zeigt es eine lokale Reizwirkung, nach intravenöser Injektion kommt es zu ähnlichen Vergiftungen wie bei den Saponinen. Es wirkt wie die eigentlichen Saponine expektorierend, weswegen die Süßholzwurzel häufig als Bestandteil von Hustentees gewählt wird (Vgl. 9).).

Das Glyzyrrhizin wird nach Wasicky (Wasicky, Phytotherapie, Heil- und Gewürzpflanzen, Bd. XVII, S. 1, 1936.) auf peroralem Wege anscheinend gar nicht resorbiert und weist einen sehr kleinen hämolytischen Index auf. Es hat einen sehr süßen Geschmack und seine Reizwirkung auf die Schleimhäute ist gering. Es unterscheidet sich damit grundsätzlich von den anderen Saponinen, z. B. Cyclamin mit starker hämolytischer und schleimhautreizender Wirkung, und dem Ononissaponin mit mittlerer hämolytischer und geringer schleimhautreizender Wirkung.

Fühner (H. Fühner, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., 105, 1925, S. 254; 124, 1927, S. 185.) prüfte die angebliche abführende Wirkung der Liquiritia an Mäusen. Er fand, selbst bei einer Dosis von 10 mg, daß das Wurzelpulver unwirksam ist. Mischte man jedoch gleiche Teile Fol. Sennae hinzu, so beschleunigte sich die Entleerungszeit von drei Stunden auf 2-2 ½ Stunden, und der Stuhl war meistens flüssig oder dünnbreiig. Es zeigte sich also, daß Rad. Liquiritiae den Darm für die Sennawirkung empfänglicher macht. Die in der Praxis gewählte übliche Mischung von Liquiritia und Senna hat dadurch eine wissenschaftliche Begründung erfahren. Die Sensibilisierung wird wahrscheinlich durch das Glycyrrhizin verursacht. Eine noch eindrucksvollere Wirkungssteigerung durch Glycyrrhizin fand der Primarius an der Universitätsklinik für Dermatologie in Wien, E. Urbach (E. Urbach, Wien. klin. Wschr. 1935, S. 213.). Im Rahmen seiner Untersuchungen über allergische Erkrankungen beschäftigte er sich mit der Behandlung alimentärer Idiosynkrasie. Es gelang ihm eine spezifische Desensibilisierung gegen ein bisher sensibilisierend wirkendes Eiweiß auf peroralem Wege durchzuführen, indem er das Eiweiß bis zu einem bestimmten Grade vorverdauen ließ. Er ließ Meerschweinchen 7 Tage lang mit Eiklar füttern, wodurch sie gegen dieses empfindlich wurden. Drei Wochen nach Beginn des Versuches reagierten die Tiere auf 1 ccm einer Lösung 1 : 10 000 des Eiklars mit einem tödlichen anaphylaktischen Schock. Auf eine Lösung von 1 : 100 000 reagierten sie mit einem leichten Juckreiz. Auf eine Lösung von 1 : 10 Millionen blieben sie erscheinungsfrei. Auf Anraten von Wasicky setzte er der Eiklarfütterung gleichzeitig 0,1-0,2 g Glycyrrhizin pro die zu. Der Erfolg war der, daß die Tiere so hoch sensibilisiert waren, daß sie schon auf 1 ccm einer Lösung von 1 : 10 Millionen innerhalb kürzester Zeit in schwerem anaphylaktischem Schock starben. Das ist eine Wirkungssteigerung um das Tausendfache durch ein an und für sich für Mäuse völlig unwirksames Mittel.

Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:

Die Süßholzwurzel ist als Expektorans bei Erkrankungen der Respirationsorgane, im einzelnen bei Tussis, Heiserkeit, Bronchitis, Lungenleiden und beginnender Tuberkulose indiziert. Auf Grund der Versuche von Urbach dürfte sie als Zusatzmittel zu anderen expektorierenden Drogen in Zukunft eine noch größere Rolle spielen.

Verwendung findet sie auch bei Blasen- und Nierenleiden, renal bedingtem Hydrops und als leichtes Purgans.

Glycyrrhiza glabra wird meistens im Teegemisch mit anderen Expektorantia gegeben.

Angewandter Pflanzenteil:

Die Radix Liquiritiae (mundata), die in allen Ländern offizinell ist, ist von jeher der verwendete Pflanzenteil.

Das HAB. läßt zur Herstellung der Tinktur die getrocknete Wurzel verwenden (§ 4). Das "Teep" wird aus den frischen Wurzeln hergestellt.

Erntezeit: Nach Tschirch kann erst drei bis vier Jahre nach Errichten einer Süßholzanlage mit der Ernte begonnen werden (vom Herbste an bis gewöhnlich Ende März, bevor noch der neue Austrieb erfolgt). Das Süßholz ist erntereif, wenn sich die Rinde nicht mehr leicht abschälen läßt.

Dosierung:

Übliche Dosis:
2 Tabletten der Frischpflanzenverreibung "Teep" dreimal täglich.
(Die "Teep"-Zubereitung ist auf 50% Pflanzensubstanz eingestellt, d. h. 1 Tablette enthält 0,125 g Rad. Liquiritiae.)

Maximaldosis:Nicht festgesetzt.

Rezepte:

Als Expektorans (nach Fischer):

Rp.:
Rad. Liquiritiae (= Süßholzwurzel)
Fol. Farfarae (= Huflattichblätter)
Rad. Althaeae . . . aa 25 (= Eibischwurzel)
Fol. Plantaginis lanceolatae (= Spitzwegerichblätter)
C.m.f. species.
D.s.: 6 Teelöffel auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.03 RM.

Als Laxans (DAB. VI):

Rp.:
Pulv. Liquiritiae compos. . . . 100
M.d.s.: Dreimal täglich 1 Teelöffel voll.
Bestandteile:
Fruct. Foeniculi pulv.
Sulfuris depur. . . . aa 10
Fol. Sennae pulv.
Rad. Liquiritiae pulv. . . . aa 15
Sacchari pulv. . . . 50
Rezepturpreis ad scat. etwa 1.08 RM.

Liquor pectoralis (nach Klemperer-Rost):

Rp.:
Succi Liquiritiae depurati . . . 20
Aqu. Foeniculi . . . 60
Olei Anisi . . . 0,2
Spiritus . . . 16,3
Liqu. Ammonii caustici . . . 3,5
M.d.s.: Teelöffelweise.

Bei Tussis (nach Finsterwalder):

Rp.:
Rad. Liquiritiae . . . 30 (= Süßholzwurzel)
Fruct. Foeniculi (= Fenchelsamen)
Sem. Lini (= Leinsamen)
Fol. Farfarae (= Huflattichblätter)
Hb. Polygoni (= Knöterichkraut)
Rad. Valerianae (= Baldrianwurzel)
Hb. Thymi (= Gartenthymiankraut)
Hb. Veronicae . . . aa 10 (= Ehrenpreiskraut)
C.m.f. species.
D.s.: 4 Teelöffel auf 2 Glas Wasser, vgl. Zubereitung von Teemischungen S. 291.
Rezepturpreis ad chart. etwa 1.28 RM.

Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.