Linum usitatissimum. Lein, Flachs. Linaceae.
Name: Línum usitatíssimum L. Lein, Flachs. Französisch: Lin; englisch: Flax; italienisch: Lino; dänisch: Hör; litauisch: Linas; norwegisch: Dyrket lin; polnisch: Len; russisch: Lon; schwedisch: Lin; tschechisch: Len setý; ungarisch: Len.
Verbreitungsgebiet: Man kennt den Lein nur als Kulturpflanze. Heimat ist unbekannt. Weiterer Anbau: Aegypten, Abessinien, Nordamerika, Brasilien, Australien.
Namensursprung: Linum ist urverwandt mit dem gleichbedeutenden griechischen λ_νον (linon). Ob es sich bei der deutschen Bezeichnung Lein um eine Entlehnung aus dem lateinischen Linum oder um eine Urverwandtschaft (althochdeutsch lin, altbulgarisch linu, litauisch linai) handelt, ist nicht festgestellt: usitatissimum = der gebräuchlichste, sehr gebräuchlich.
Botanisches: Die bis 1 m hohen Stengel dieser Pflanze sind mit lineal-lanzettlichen Blättern dicht besetzt und tragen rispig angeordnete Blütenwickel. Die fünfzähligen Blüten enthalten große, schwach gewimperte Kronenblätter von meist himmelblauer Farbe. Griffel und Staubgefäße sind blau. Die Frucht stellt eine 6-8 mm lange, kugelig-eiförmige Kapsel mit etwa 10 Samen dar. Die Heimat dieser ein- oder zweijährigen Kulturpflanze, die heute auf allen Kontinenten angebaut wird, ist nicht bekannt. Abgesehen von Kalk-, dürrem Sandoder strengem Tonboden ist für sie jeder Boden geeignet, wenn dieser reich an Pflanzennahrung ist und nicht erst zubereitet werden muß. Der Flachs wird deshalb meist nach Hülsenfrüchten in Kultur genommen. Obwohl die Pflanze eine gewisse Feuchtigkeit verlangt, ist sie doch gegen allzugroße Wurzelfeuchtigkeit so sehr empfindlich, daß sie in solchem Falle ihre Weiterentwicklung einstellt.
Geschichtliches und Allgemeines:
Der Lein, dessen technische Verwertung wohl noch älter als diejenige als Genuß- und Heilmittel ist, gehört zu unseren ältesten und interessantesten Kulturpflanzen. Bereits in den Schweizer Pfahlbauten aus der jüngeren Steinzeit sind Früchte und Gewebe einer Leinart festgestellt worden. Aus dem Alten Testament erhalten wir an verschiedenen Stellen Aufschluß über die damals schon vorhandene Kenntnis des Flachses und der daraus gefertigten Leinwand, und verschiedene auf den Bauwerken Ägyptens befindliche Darstellungen der Flachskultur lassen diese bis ins 13. und 14. Jahrhundert v. Chr. zurückverfolgen. Auch Homer weiß von dem Flachs zu berichten, und Herodot, der die aus Leinwand gefertigten Kleider eine üppige, der Prunksucht dienende Tracht nennt, erzählt, daß die Skythen sich bei Totenfeiern mit Leinsamendampf berauschten und reinigten. Über die Anfänge der Leinkultur bei den Germanen erfahren wir durch den älteren Plinius. Der Lein war die heilige Pflanze der Frigga, die unter dem Namen Frau Holle häufig als Spinnerin dargestellt wurde.
Als Arzneimittel wird der Leinsamen bereits in den hippokratischen Schriften innerlich und äußerlich gegen Katarrhe, Unterleibsschmerzen, weißen Fluß sowie als Kataplasma empfohlen. Bei den alten Juden spielten der Leinsame und die Leinsamensuppe unter den diätetischen Mitteln eine große Rolle. Celsus empfiehlt ihn in Form von warmen Umschlägen als wundenverklebendes Mittel, während Theophrast als erster den Schleim als Hustenmittel erwähnt. Auch Dioskurides gibt eine genaue Anweisung über die Anwendung des Leinsamens, den er in erster Linie als erweichendes Mittel und gegen Husten empfiehlt. Zum ersten Male als Nahrungsmittel nennt ihn der lydische Dichter Alkmann (650 v. Chr.), ebenso rühmt ihn Galenus als Genußmittel.
Im Mittelalter war dagegen die medizinische Bedeutung der Pflanze nicht groß. Wir finden sie u. a. bei der hl. Hildegard (12. Jahrhundert), welche die Samen als Kataplasma empfiehlt, bei v. Megenberg (14. Jahrhundert) und im Gothaer Arzneibuch.
In der heutigen Volksmedizin ist die Anwendung dieselbe geblieben. Als Liebesorakel dient der Leinsamen auch heute in Österreich und im Vogtland und spielt auch bei den Hochzeitsbräuchen der Südslawen eine Rolle. Auch als Teesurrogat fanden die Samen gelegentlich Verwendung, während das Leinöl hauptsächlich zur Herstellung von Ölfarben, Buchdruckerschwärzen und Firnissen gebraucht wird. Eine große Anzahl von Bauernregeln, Sprichwörtern und Sagen bezieht sich auf den Anbau bzw. die Verwertung des Leines, so z. B.:
Wirkung
Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 130.) beschreibt Linum als entzündungswidrig, hustenmildernd, leicht aphrodisierend wirkend, äußerlich angewandt als schmerzstillend, erweichend, heilend, im Klistier darmöffnend.
Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 116.) empfiehlt ihn außerdem bei Schwindsucht, äußerlich, mit Essig vermischt, zum Stillen des Nasenblutens; die Inhalation des Leinsamenrauches soll nach ihm den Schnupfen vertreiben.
In der Volksmedizin wird der Leinsamen wegen seiner leicht verschleimenden Epidermis bevorzugt angewandt, um Fremdkörper aus dem Auge zu entfernen (Hegi, Illustr. Flora v. Mitteleuropa, Bd. V 1, S. 35.). Kneipp (Seb. Kneipp, Das große Kneippbuch, S. 548, 565 usw., München 1935.) und andere empfehlen den Leinsamen zur Schmerzstillung und Linderung bei geschwürigen und entzündlichen Prozessen des Verdauungsapparates, wie Geschwüre im Magen und Zwölffinger- und Blinddarm. Bei Gallenstein- und Nierensteinkoliken macht man Einläufe in Form von Leinsamenauszügen, die sehr wohltuend und in gewissem Sinne auch schmerzstillend wirken. Auch bei schmerzhaften Entzündungen der Niere, des Nierenbeckens und der Blase gilt der Leinsamen als Linderungsmittel.
Diese schmerzstillende Wirkung bei katarrhalischen Zuständen der Magen- und Darmschleimhaut hat neuerdings auch Schramm (Schramm, Hippokrates 1936, 5.) bestätigt.
Auf der Haut erzeugt Linum gelegentlich leichtere Hautreizungen (Touton, Beitr. Biol. Pflanz. 1931, Bd. 19, S. 1.). Die stuhlregulierende Wirkung beruht auf der Quellung der schleimreichen Samen im Darme, wodurch das Volumen des Darminhaltes erhöht und die peristaltische Entleerung gefördert werden (Meyer-Gottlieb, Exp. Pharm., S. 237.).
Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 195.) glaubt, den günstigen Einfluß des Leinsamens auf Schmerzempfindungen und Schwellungen der Schleimhäute auf dessen Gehalt an geringen Blausäuremengen zurückführen zu können.
Nach Bohn (Bohn, Die Heilwerte heimischer Pflanzen, S. 54.) erweist sich die Leinsamenabkochung besonders wirksam bei Blasenkatarrh, Tripper, Steinreizungen, Husten und leichten Luftröhrenkatarrhen, speziell Masernkranker.
Sehr beliebt ist die äußerliche Anwendung des Leinsamens in Form von Umschlägen. Man verwendet dazu die frisch gemahlenen Leinsamen, auf jeden Fall noch nicht ranzig gewordenes Leinsaatmehl oder auch den Preßrückstand bei der Leinölverarbeitung, das Leinsamenpreßkuchenmehl oder auch Placenta Sem. Lini genannt. Klemperer-Rost gibt diesem den Vorzug, weil es billiger ist, keine Flecken auf der Wäsche macht und einen weniger starken Ölgeruch hat. Ob damit die gleiche Wirkung erzielt wird, wie mit dem Leinsaatmehl, möchte ich bezweifeln.
Neuerdings wird von H. Leclerc (Leclerc, Bull. de scienc. pharm. 1932, Bd. 39, S. 504; zit. nach W. Peyer, Pflanzliche Heilmittel, S. 13, Berlin 1937.) das Kataplasma aus Leinsamen in folgender Form empfohlen:
"Frisch gemahlene, nicht ranzige Leinsamen werden mit kaltem, weichem, also abgekochtem oder besser noch Regen- oder destilliertem Wasser, das man nach und nach zusetzt, zu einem gleichmäßigen Brei geknetet; diesen läßt man unter beständigem Umrühren eben aufkochen. Der heiße Brei wird dann in einer Schicht von der gewünschten Fläche und Dicke in der Mitte eines reinen, vorher gründlich ausgekochten Leinentuches ausgebreitet. Die Ränder des Tuches werden über dem Brei zusammengelegt und befestigt. Mit der unteren, glatten Seite wird das Kataplasma auf die zu behandelnde Stelle gelegt, nachdem man u. U. auf dieser Seite noch ein anderes Arzneimittel, dessen Wirkung man anzubringen wünscht, aufgetragen hat. Wünscht man zum Beispiel mit der erweichenden Wirkung des Leinsamens die ableitende des Senfmehles zu vereinigen, so kann man einen Senfmehlbrei aufstreichen oder auch der Kataplasmafüllung etwa ein Viertel ihres Gewichtes an Leinsamen Senfmehl zumischen. In beiden Fällen muß jedoch der Leinsamenbrei auf mindestens 40-45° abgekühlt sein, da höhere Temperaturen das Ferment der Allylsenföl-Bildung im Senfmehl schädigen und so das Senfmehl unwirksam machen würden."
Die Homöopathie macht vom Lein bei Asthma, Heufieber, Zungenlähmung und Nesselsucht Gebrauch (Heinigke, Handb. d. hom. Arzneiwirkungsl., S. 383.).
Die ganze Pflanze enthält das Blausäure liefernde Glykosid Linamarin, das mit dem Phaseolunatin identisch ist. Es findet sich auch in den Samen, in diesen daneben u. a. das Protein Edestin, ferner Lecithin, das Glykosid-spaltende Enzym Linase, Dihydrositosterin und 30-40% fettes Öl. Dieses enthält neben den gewöhnlichen Bestandteilen auch Linolen- und Linolsäure (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, S. 593.).
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Dänemark: Mit Honig gegen Husten, äußerlich als Brei gegen Magen- und Unterleibsschmerzen, das Öl bei Brandwunden.
Litauen: Das Samendekokt wird häufig angewandt, so z. B. bei Husten, Verdauungsstörungen und Urinverhaltung.
Polen: Zu erweichenden Kataplasmen. (Aus dem Faserabfall wird in Polen gute Verbandwatte angefertigt.)
Steiermark: Als Breiumschlag bei Erkältungen.
Ungarn: Gegen Husten und Übelkeit.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Linum usitatissimum wirkt innerlich und äußerlich schmerzlindernd und erweichend. Innerlich wird es vorwiegend bei entzündlichen Schleimhautaffektionen der Respirationsorgane, des Gastrointestinaltraktus und der Harnwege angewandt.
Einzelindikationen sind: trockener Husten, Bronchitis, Heiserkeit, Lungenleiden, Heufieber und Asthma; Cystitis (hier hat es Ryskiewicz, Rottweil, mehrfach erprobt, und zwar läßt er den Samen als ganz dicken und steifen Tee trinken), Nephritis, Pyelitis, Nierenkolik, Prostatitis mit viel Schleimabsonderung (hier im Wechsel mit Conium), Urethritis, Uratsteine, Harnverhaltung und anhaltender Blasenschmerz nach Spülungen mit Höllenstein; Obstipation (hier kann man auch ganze Körner verschlucken lassen), Magen- und Darmatonie (zur Erhöhung der Peristaltik), Enteritis, Gastritis und Dickdarmblutungen.
Auch bei Hämorrhoiden, eingeklemmten Brüchen, Gallensteinen (hier das Leinöl), Gicht, Rheuma und Diabetes (beobachtet wurde schnelles Sinken der Zuckerausscheidung, jedoch ohne längeren Bestand) kann Linum verordnet werden.
Äußerlich findet das Leinsamenkataplasma Anwendung als erweichendes und schmerzlinderndes, auflösendes Mittel bei Gliederschmerzen, Hexenschuß, Magenkrampf, Leber- und Nierenkoliken, bei entzündlichen Schwellungen, Lymphangitis, Karbunkeln, Furunkeln, Geschwüren und endlich auch bei Hautleiden wie Impetigo.
Bei Verbrennungen leistet das Leinöl gute Dienste als erste Hilfe. Zweckmäßig wird es hier mit Eiweiß geschlagen aufgestrichen.
Linum wird häufig im Teegemisch mit den zu der jeweiligen Indikation passenden Kräutern verordnet.
Angewandter Pflanzenteil:
Zwar erwähnt Matthiolus auch die "Kraft der Leinwadt und deß Haspelgarns", aber sonst herrscht von den ältesten bis zu den modernsten Autoren völlige Einmütigkeit über die arzneiliche Anwendung der Samen. Nur das HAB. empfiehlt die frische, blühende Pflanze ohne Wurzel zur Bereitung der Essenz (§ 3). Das "Teep" wird aus den reifen Samen hergestellt.
Semen Lini ist offizinell in Deutschland und allen anderen Ländern mit Ausnahme von Dänemark.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
In der Homöopathie: dil. D 1, dreimal täglich 10 Tropfen.
Maximaldosis: Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Bei Cystitis:
- Rp.:
Bei Entzündungen der Harnwege (nach Kroeber):
- Rp.:
Bei Magen- und Darmentzündung (nach Tschirner):
- Rp.:
Bei Bronchitis und Tussis (F. M. Germ.):
- Rp.:
Bei Kolik und Darmschmerzen als Klistier (nach Dinand):
- Rp.:
Bei Entzündungen, Geschwüren und Geschwülsten als Kataplasma:
- Rp.:
Oder (nach Fischer):
- Rp.:
Oleum contra combustiones (nach Klemperer-Rost):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.