Ricinus communis. Wunderbaum. Euphorbiaceae.
Name: Rícinus commúnis L. (= R. inermis Jacq., = R. lividus Jacq., = R. speciosus Burm., = R. spectabilis Blume, = R. viridis Willd., = Croton spinosus L.). Wunderbaum, Läusebaum, Hundsbaum, Christuspalme. Französisch: Ricin; englisch: Castor plant, castor oil plant, common oil nut tree, common palma Christi; italienisch: Ricino, fico d'inferno, fagiolo romano, turchesco oder d'India; dänisch: Kristpalme; polnisch: Racznik; russisch: Kastorowoje dierewo; schwedisch: Ricinoljefrö; tschechisch: Skočec obecny; ungarisch: Ricinusz.
Weiteres Vorkommen: Ostindien, Java, China, Kleinasien, Syrien, südliche Vereinigten Staaten, Westindien, Mittel-und Südamerika. Angebaut auch in Südeuropa.
Namensursprung: Die Etymologie des Gattungsnamen Ricinus ist unsicher. Nach Plinius hat der Baum seinen Namen vom lateinischen ricinus = Zecke, Holzbock, wegen der Ähnlichkeit der Samen mit diesem Insekt. Da aber die Bezeichnung "kiki" für den Baum schon bei den Ägyptern vorkommt, ist es auch möglich, daß der Baum der Zecke seinen. Namen gegeben hat. Den Namen Wunderbaum hat der Ricinus bekommen, weil man ihn für den Kürbis hält, den nach der biblischen Erzählung der Prophet Jonas zum Schutze gegen die Sonne vor sein Zelt in Ninive pflanzte, und der in einer Nacht zu einem Baume emporwuchs.
Botanisches: Der wahrscheinlich in Indien heimische, 10-13 m hohe Baum mit weißer Pfahlwurzel ist in Südeuropa nur noch ein zwei- bis dreijähriger Strauch und stellt in Mitteleuropa nur noch ein einjähriges bis 2 m hohes Kraut dar. Die wechselständigen Blätter sind handförmig, fünf- bis siebenlappig geteilt. Der meist endständige, rispige Blütenstand trägt oben die gestielten weiblichen und unten die büschelig gehäuften männlichen Blüten. Die rundlich-dreiseitigen Früchte sind etwas größer als eine Haselnuß und mit abstehenden, pfriemlichen, weichen Stacheln dicht besetzt. Sie enthalten ovale, bohnenförmige Samen, die auf hell aschgrauem Grunde gelbliche und bräunliche Flecken und Streifen aufweisen. Nach Hegi wird der Baum, der einen feuchten, phosphorsäure-, kali- und kalkreichen Boden verlangt, mit Erfolg gegen die Moskitos um die Häuser angepflanzt. In Indien vertreibt er die lästigen Termiten. Die Preßkuchen stellen ein ausgezeichnetes Mäuse- und Rattengift dar. In Deutschland blüht die Pflanze im August.
Geschichtliches und Allgemeines:
Der Wunderbaum gehört zu den Pflanzen, denen wir in den Werken des Altertuums begegnen. Nach Herodot war er unter dem Namen "kiki" bei den alten Ägyptern als Ölpflanze, deren Namen und Verwendung dann später von den Griechen übernommen wurde, im Gebrauch. Im Papyrus Ebers werden die Samen als Purgans und Haarwuchsmittel, das Öl als Salbe gegen übelriechende Geschwüre genannt. Auf eine frühzeitige Benutzung des Baumes auch in Indien weisen alte Sanskritnamen wie z. B. eranda, ruwu ruwuka usw. hin. In indischen Sprichwörtern ist die Pflanze ein Symbol der Zerbrechlichkeit. Die hippokratischen Schriften nennen den Ricinus Croton und empfehlen die Wurzel bei hysterischen Beschwerden. Dioskurides und Plinius geben ausführliche Beschreibungen zur Herstellung des Ricinusöles. Ersterer empfiehlt es u. a. gegen Grind, Krätze, Wundnarben, Ohrenschmerzen, Uterusleiden, als Purgans und Vermifugum. In der Hauptsache wurde das Öl von den griechischen Ärzten äußerlich angewandt.
Im Mittelalter wird der Baum unter den Namen "arbor mirabilis" (Albertus Magnus), "wunderleich paum" (Megenberg), "Ricinus minor" (Hortus Eystettensis), "Wundelbaum" (Gesner) u. a. in den meisten Kräuterbüchern aufgeführt, doch wurde das Öl hauptsächlich als Brennmaterial verwendet, während seine Verwertung als Purgans erst seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich wurde.
Das Öl ist heute als Laxans allgemein (besonders in Italien) bekannt und findet daneben auch kosmetische (zu Seifen, Haaröl) und technische (als Brenn- und Maschinenöl, in der Woll- und Baumwollappretur) Verwertung. Ferner wird es gegen Motten und Ungeziefer benutzt. In China gebraucht man es als Speiseöl. Nach verschiedenen Beobachtungen ist festgestellt worden, daß schon 10 Samen einen erwachsenen Menschen töten können. In Amerika und Europa gelten die Blätter des Baumes als die Milchsekretion steigerndes Mittel, während sie in Indien äußerlich und innerlich als Emmenagogum angewandt werden. Die Fasern werden in der Papierindustrie verwertet. Die Preßkuchen dienen in verschiedenen Ländern als Düngemittel. Für den pharmazeutischen Gebrauch wird in Deutschland in erster Linie das italienische Ricinusöl gebraucht.
Wirkung
Bereits von Hippokrates (Fuchs, Hippokrates Sämtl. Werke, Bd. 3, S. 331, 424, 579.) und Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 1, S. 867, Bd. 2, S. 594.) wurde Ricinus angewandt.
Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 106.) und Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 422.) schildern die Rizinussamen als heftig purgierend, cholagog, schleim- und wassertreibend, emetisch; äußerlich angewandt, soll das Öl Hautflecken, Mäler und Flechten vertreiben, die Blätter aber schmerzstillend und hitzewidrig bei Augen- und Brustschwellungen sein.
Hufeland (Hufeland, Enchir. med., S. 74, 122, 198, 273, 305, 399, 404, 405.) wandte Ricinus als Purgans in Form des Öles an. -
Das Öl hat einen widerlichen faden Geschmack und ruft bei manchen Personen Übelkeit hervor, nach Meyer-Gottlieb (Meyer-Gottlieb, Exp. Pharm., S. 239, Berlin 1933.) vermutlich infolge einer wenn auch nur geringfügigen Spaltung im Magen. Das Rizinusöl ist ein Dünndarmmittel, welches eine schwache Erregung, aber nie eine entzündliche Reizung hervorruft. Das Öl verseift im Dünndarm, und die Ricinolseife übt einen genügend starken Einfluß auf die Peristaltik aus (H. Meyer, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 1891, Bd. 28, S. 145; 1897, Bd. 38, S. 336.).
Nach Magnus (R. Magnus, Pflügers Arch. 1908, Bd. 122, S. 261.), der auch eine größere Literaturzusammenstellung bringt, treten nach Einnehmen von 15 bis 30 g in 6-10 Stunden ein bis zwei dünnbreiige Entleerungen ohne Kolikbeschwerden ein. In den Dickdarm gelangt das Rizinusöl kaum und kann deshalb auch bei Graviden ohne Bedenken angewendet werden. Es verschwindet im Dünndarm durch Resorption.
Das Öl eignet sich zur Anwendung bei leichter Obstipation und bei leichten Formen von Bleikolik in geringen Dosen. Bei hartnäckiger Obstipation gibt man größere Dosen, nach Klemperer-Rost (Klemperer-Rost, Arzneiverordnungslehre, S. 604, Berlin 1929.) bis 4 Eßlöffel voll, u. U. mit einem Tropfen Crotonöl. Es wird weiter gegeben bei Ileus und drohendem Ileus, nur bei sicherem Ausschluß von chirurgischen Ursachen (Volvulus, Invaginationen, Hernien). Weiter ist es indiziert bei akuter Gastroenteritis, bei Dysenterie, Typhus und verschiedenen Vergiftungen, wie Fleisch-, Fisch- und Arsenvergiftungen.
Kontraindiziert ist es nach Klemperer-Rost bei spastischer Obstipation, schwerer Bleikolik, bei Appendizitis und Peritonitis. Zum längeren Gebrauch ist es nicht geeignet wegen der Störung des Appetits und weil nachträglich oft Verstopfung eintritt.
Die Frage, ob Rizinusöl nach Bandwurmkuren das geeignete Abführmittel ist, wird von Chopra und Chandler (R. N. Chopra and Asa C. Chandler, Anthelmintics and their Uses, S. 202, London 1928.) verneint, weil es bei so giftigen Mitteln wie z. B. Filix mas zur schnelleren Resorption führt.
Als Pei-ma werden die Samen von Ricinus communis in China bereits in einem Arzneibuch der T'ang-Dynastie erwähnt. Sie gelten u. a. als Mittel gegen Apoplexie, Hydrops, Geschwülste und Obstipation (Tsutomu Ishidoya, Chinesische Drogen, Teil I, S. 107.).
Die Samen enthalten ein sehr stark wirkendes Toxalbumin (ein echtes Toxin), das Ricin, das auf das Blut aller Wirbeltiere einwirkt und Gerinnung verursacht (Stillmark, Dorp. Arb. 1889, Bd. 3, S. 59.). Bei parenteraler Einverleibung ist das Ricin imstande, im Blute eine gerinnungshemmende Substanz mit immunisierender Wirkung, das "Antiricin", zu bilden (Breithor, Dissert. Berlin 1932.).
Die ersten Immunisierungsversuche wurden von Ehrlich (Ehrlich, Dtsch. med. Wschr. 1891, S. 976.) unternommen, der erreichte, daß Mäuse die 200-800fache tödliche Dosis vertrugen. Das im Blute der immunisierten Muttertiere enthaltene Antiricin wird, wie Ehrlich (Ehrlich, Ztschr. f. Hyg. u. Infekt.-Krankh. 1892, H. ½. S. 183.) weiter feststellte, vor der Geburt durch den Blutkreislauf, nach der Geburt mittels der Milch auf die Jungen übertragen, so daß auch diese ebenfalls eine gewisse Immunität besitzen. Die Folgen der Ricinusvergiftung sind Nausea, Vomitus, Koliken, blutige Stühle, Tenesmus, Kopfweh, kleiner frequenter Puls, kalter Schweiß, Ikterus, Krämpfe, Konvulsionen, Anurie, hämorrhagische Gastroenteritis, zahlreiche Ulzera am Magen und Dünndarm, entstanden durch Gefäßverstopfung infolge der Ricin-Blutgerinnung und folgende Selbstverdauung, diffuse Nephritis, hämorrhagische Infiltration der Mesenterialdrüsen, Hämorrhagien im Mesenterium, Netz usw. (Henke-Lubarsch, Handb. d. spez. u. path. Anat. u. Hist., Bd. X, S. 436.), der Darminhalt gleicht Cholerastühlen (Vgl. 12).).
Beim Einblasen von Ricinpulver ins Auge entstanden hämorrhagische Konjunktivitis und tiefgehende Ulzera (Meyer-Gottlieb, Exp. Pharm., S. 633.).
Das Ricin lähmt das Vasomotorenzentrum und das Atemzentrum (Müller, Arch. f. exp. Path. u. Pharm., 42, 302, 1899.), Einzelheiten über die Ricinwirkung siehe bei Jacoby (Jacoby, Heffter-Heubners Handb. d. exp. Pharm., Bd. II, 2, S. 1735.).
Abdülkadir-Lüfti (Abdülkadir-Lüfti, Dtsch. med. Wschr. 1935, S. 416.) beschreibt einen Vergiftungsfall, der in der medizinischen Klinik in Istambul behandelt wurde. Der Patient, der 15-20 Stück der Rizinussamen gegessen hatte, starb nach 12 Tagen unter den Symptomen der Nephritis, Urämie und hauptsächlich der peripheren Kreislaufstörung. Daß 15-20 Samen den Tod des Erwachsenen herbeíführen können, ist auch aus anderen Berichten bekannt. Todesfälle bei Kindern sollen nach 5-6 Samen vorgekommen sein (Lewin, Gifte u. Vergiftungen, S. 623, Berlin 1929, zu Ricinusvergiftungen vgl. auch Lipták, Fühners Samml. v. Vergiftungsfällen, Bd. 1, Liefg. 3, 1930; Plattner, ref. in ärztl. Korrespondenz 1936, S. 539.).
Neben dem Ricin werden u. a. noch folgende Inhaltsstoffe angegeben: verschiedene Eiweißkörper, das Alkaloid Ricinin (= Ricidin) und Bitterstoff (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, II, S. 674.).
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Ricinus ist in Form des Oleum Ricini ein prächtiges Purgiermittel bei Vergiftungen, Cholera, Cholera infantum, Kolik, Dysenterie, Enteritis, Diarrhöe, Nausea mit anhaltendem Vomitus und bei Obstipation. Bei Gallenkoliken läßt Prater, Radebeul, Ricinus Ø (20 Tropfen auf 1 Glas Wasser) und Belladonna Ø (20 Tropfen auf 1 Glas Wasser) in halbstündlichem Wechsel eßlöffelweise nehmen.
Bei Laktationsstörungen sind gelegentlich gute Wirkungen erzielt worden, doch wurden hier auch Versager beobachtet.
Angewandter Pflanzenteil:
Hippokrates kennt die Verwendung des Öls und spricht von der Wunderbaumwurzel.
Bock erwähnt nur die Samen, und Matthiolus schreibt: "Man brauchet gemeiniglich den samen / wiewol auch die Bletter ihren nutz haben."
Später kennt man nur noch die Gewinnung des Öls aus den Samen (Geiger, Buchheim, Zörnig, Thoms, Hager).
Das HAB. schreibt zur Bereitung der Tinktur die reifen Samen (§ 4) vor. Semen Ricini ist offizinell in Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Rumänien, Venezuela und Mexiko.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
In der Homöopathie:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Purgans (nach Trendelenburg):
- Rp.:
Oder (nach Trendelenburg):
- Rp.:
Oder: Emulsio ricinosa (F.M.G.):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.