Viola tricolor. Feldstiefmütterchen. Violaceae.
Name: Viola trícolor L. Feldstiefmütterchen, Freisamkraut, Dreifaltigkeitsblume. Französisch: Pensée, fleur de la Trinité, herbe de la Trinité; englisch: Pansy, heartsease, love-in-idleness; italienisch: Erba della Trinita, ranzia viola di tre colori, viola del pensioro, jacea; dänisch: Stedmodersblomst; norwegisch: Stedmorsblomst; schwedisch: Styvmorsviol; tschechisch: Violka trojbarevná, maceška polní; ungarisch: árvácska.
Weiteres Vorkommen: Vorder-u. Mittelasien, Sibirien, Altai, Vorderindien, Südstaaten der Union, nördliche Anden.
Namensursprung: Erklärung zu Viola s. Viola odorata; tricolor = dreifarbig. Die erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts aufgekommene Bezeichnung "Stiefmütterchen" wird im Volksmunde folgendermaßen gedeutet: Die beiden obersten Blütenblätter sind zwei Stühle, welche die Stiefmutter für sich in Anspruch nimmt. Auf den beiden seitlichen sich daran anschließenden sitzen ihre eigenen Töchter und auf dem untersten haben die Stieftöchter, die sich mit einem einzigen Stuhle begnügen müssen, Platz genommen.
Volkstümliche Bezeichnungen: In den schweizerischen Benennungen Schwigerli (Aargau), Schwigerli-Schwögerli (St. Gallen) ist die Stiefmutter offenbar durch die Schwiegermutter ersetzt. Auf die helle und dunkle Färbung der Blüten gehen Tag- und Nachtveigerl (oberdeutsch), Tag- und Nachtblümla (fränkisch), Tag- und Nachterli (schwäbisch), Nachtvijôle (Nordthüringen), Nachtschatterl (Altbayern), Nachtschöppli (Unterfranken). Da die Blüten gewöhnlich dreifarbig sind, nennt man die Art auch Dreifaltigkeitsblümel, -veigerl (bayrisch-österreichisch), Dreifaltigkeit (sli) (Baden, Elsaß). Vielfach werden auch die Blüten mit einem menschlichen Antlitz (Gesicht, Augen) verglichen: Geseetche, Schöngesicht (Niederrhein), (brete) Gesichter, Menschengesichter (Nahegebiet), Judegesecht = Judengesicht (Oberhessen), Liebgsichtli (Zürich), Christusauge (Aachen), Mädchenaugen (Nahegebiet), Glotzbock (Baden), Klotzerveilchen (Mittelfranken), Glotzer, "glotzen" = starr schauen (Württemberg), Zahnblöckerli (Baden). Aus dem Kraute wird ein Tee, der besonders gegen die "Fraisen" oder den "Fraischam" (krampfartige Anfälle, auch Milchschorf) kleiner Kinder und so als blutreinigendes Mittel Verwendung findet, zubereitet: Theeveigerl (Niederösterreich), Freisam(kraut) (Hessen).
Botanisches: Das Feldstiefmütterchen ist ein meist einjähriges, aber wohl auch den Winter überdauerndes Kraut, das in seinem äußeren sehr veränderlich ist. Es ist eine Pflanze, die auf Wiesen und Triften häufig vorkommt, vor allem aber auch als Ackerunkraut. Wasser- und Fettwiesen sagen ihm zu, aber auch an Felsen und auf Dünen von der Ebene bis in Höhen von 2700 m kann man das Stiefmütterchen finden. Es gedeiht auf allen Bodenarten. Auf Kalk allerdings ist es selten anzutreffen, so daß man es geradezu als Kalkflüchter bezeichnen kann. Viola tricolor ist ein typischer Begleiter des Roggens. Ich konnte feststellen, daß es in seinem Wachstum von den Wurzelausscheidungen des Roggens gefördert wird. (Näheres über die Versuche vgl. Kap. Pflanzenassoziationen S. 89.) Sein Verbreitungsgebiet ist das gemäßigte Eurasien. Oft schon im April beginnt die Pflanze zu blühen, und bis in den Oktober hinein können wir sie so finden. Die aufrechten oder aufsteigenden kahlen Stengel sind meist ästig und werden 10-20 cm hoch. Die Blätter sind länglich, zähnig gekerbt, die unteren herz-eiförmig, die oberen länglich-lanzettlich. Die großen Nebenblätter sind laubblattartig, leierförmigfiederspaltig und gekerbt. Die langgestielten Blüten besitzen fünf lanzettliche Kelchblätter und fünf Kronenblätter, von denen die zwei seitlichen und zwei hinteren aufgerichtet sind, während das untere einen dünnen Sporn trägt. Der Fruchtknoten ist oberständig. Es sind fünf Staubgefäße vorhanden, die besondere Anhängsel tragen. Die Blumenblätter sind recht verschieden gefärbt, blaßgelb, gelb, violett, purpurbraun in mannigfaltiger Verteilung. Die Frucht ist eine dreikantige, vielsamige, einfächrige Kapsel, die mit drei weitspreizenden Klappen aufspringt.
Geschichtliches und Allgemeines:
Einen sicheren Nachweis für die Verwendung der Viola tricolor als Heilpflanze erhalten wir erst durch die mittelalterlichen "Väter der Botanik". Den damals viel gebrauchten Namen "Feysamkraut" erklärt Matthiolus: "Es hilft den jungen Kindern, die mit Freisch oder Vergicht belästigt sind, daher nennet mans Freisam oder Freischamkraut." Mit dem Worte "Freisch" bezeichnete man krampfartige und besonders epilepsieähnliche Anfälle kleiner Kinder. Bei den Letten wird das Stiefmütterchen auch heute noch als Mittel gegen Schreckneurose betrachtet. Fuchs empfahl die Pflanze gegen Hautausschläge und Camerarius gegen Syphilis. Andreas Caesalpinus (gest. 1602) empfahl den Stiefmütterchentee ebenfalls gegen Hautausschläge. Strack in Mainz (1780) lobte ihn besonders bei dem Milchschorf der Kinder, aber auch bei allen anderen Exanthemen. Ebenso wurde das Stiefmütterchen von Philenius und v. Willich zu den Mitteln gegen Hautkrankheiten gezählt. Von den meisten Autoren wurde jedoch betont, daß ein längerer Gebrauch notwendig sei und daß im Anfang häufig der Ausschlag verstärkt erscheine. Nach Langen (De remediis Transsylvanicorum) wird in Siebenbürgen das Stiefmütterchen vom Volke als Purgans gebraucht. Alle die Eigenschaften, die man dem Stiefmütterchen früher zuschrieb, faßt Becher (Medic. Parnaß, 2. Teil, 1662, 569) in folgenden Versen zusammen:
Wirkung
Bei Paracelsus (Paracelsus Sämtl. Werke, Bd. 1, S. 883, Bd. 2, S. 585, Bd. 3, S. 542, 737.) fand das Kraut als Wundmittel und Antiskrofulosum Anwendung, bei
Lonicerus (Lonicerus, Kreuterbuch, 1564, S. 261.) und Bock (Bock, Kreutterbuch, 1565, S. 209.) als bevorzugte Arznei bei Kinderkrankheiten, namentlich Fieber, Bauchschmerzen und Fraisen. Lonicerus verordnet es außerdem gegen Räude, Geschwüre (auch innere, so z. B. der Lunge), Geschwülste und als Expektorans.
Matthiolus (Matthiolus, New-Kreuterbuch, 1626, S. 413.) findet, daß es "den Schweiß gewaltig treibe", und empfiehlt es daher auch bei Syphilis.
Die Kenntnis der blutreinigenden Wirkung des Stiefmütterchens hat sich über die Ärzte des vorigen Jahrhunderts - wie Hufeland (Hufeland, Enchir. med., S. 371.), der es bei skrofulösen Exanthemen verordnete und seinem Mitarbeiter Jäger, der Erfolge damit bei Krätze, Crusta lactea und Tinea capitis hatte - bis heute erhalten.
Schulz (Schulz, Wirkg. u. Anwendg. d. dtsch. Arzneipfl., S. 115.) sah persönlich ausgezeichnete Erfolge bei Rhagaden und chronischen Gesichtsekzemen, schildert aber auch die Wirksamkeit gegen Akne, Milchschorf, Harnbeschwerden und Blasenleiden. Er verwandte sowohl den Tee des getrockneten Krautes als auch die aus dem frischen Kraute hergestellte Tinktur, die er weiter verdünnte. Nach ihm führt der längere Gebrauch der Tinktur bei ganz gesunden Individuen zu frieselartigem Ausschlag über den ganzen Körper, u. U. sogar zum Ausbruch borkiger und impetiginöser Ekzeme. Die Salizylsäuremethylester, Violin und Saponin (Wasicky, Lehrb. d. Physiopharm., S. 415.) enthaltende Droge (vgl. auch Viola odorata) ruft auch nach Touton (Touton, Beitr. Biol. Pflanz. 1931, Bd. 19, S. 1.) Hautexantheme hervor.
Bohn (Bohn, Die Heilwerte heim. Pfl., S. 70.) bezeichnet das Kraut als ein Heilmittel der Skrofulose und wendet es an bei skrofulösen Kopfexanthemen und Drüsenvereiterungen, gleichfalls bei Milchschorf.
Obgleich Leclerc (H. Leclerc, Précis de Phytothérapie, S. 79, Paris 1927.) nicht den älteren Schriftstellern zustimmt, die Viola tricolor für eine Panacee der Hautkrankheiten hielten, so glaubt er ihr doch einigen Einfluß auf Dermatosen, die auf neuro-arthritischer Diathese beruhen, zusprechen zu können.
Nach K. Müller (K. Müller, Zeitgenössisches medizinisches Herbarium der tschechoslowakischen Flora, 1936, S. 426.) wird Viola tricolor als eins der besten Blutreinigungsmittel betrachtet. Nach ihm steht die diuretische Wirkung im Vordergrund. Weiter nennt er sie als Expektorans, Emetikum und gegen Ikterus. Auf Grund seiner diuretischen Wirkung ist das Stiefmütterchen Bestandteil der Species diureticae der Schweizer Pharmakopöe.
Peyer (W. Peyer, Pflanzliche Heilmittel, S. 63, Berlin 1937.) weist auf die Möglichkeit hin, daß die Saponine in einer bisher noch unbekannten Weise blutreinigend wirken.
Auch im Tierexperiment zeigt sich nach eigenen Untersuchungen Viola tricolor wirksam. Durch andauernde Fütterung oder verstärkte Fütterung mit Roggen kann man ein grindiges Ekzem bei Ratten hervorrufen. Durch die Heilung dieses Ekzems kann die Wirksamkeit von Hautheilmitteln bewiesen werden. Wenn man dem Futter zwei Monate lang frische Viola tricolor zusetzt, tritt auffallende Besserung ein.
Verwendung in der Volksmedizin außerhalb des Deutschen Reiches (nach persönlichen Mitteilungen):
Tschechoslowakei: Als Blutreinigungsmittel und gegen Augenkrankheiten.
Ungarn: Schleimabführend; bei Gelbsucht.
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Viola tricolor ist ein Hautheilmittel. Wegen seiner Abhängigkeit im Wachstum von Roggenwurzelausscheidungen (vgl. Botanisches) dürfte es besonders geeignet sein für Patienten mit einseitiger oder zu starker Roggennahrung und den aus solcher Einseitigkeit entstehenden diätetisch bedingten Ekzemen und Hauterkrankungen, die die alten Ärzte als "Schärfe im Blut" bezeichneten.
Gute Erfolge sind also zu sehen bei nassen und trockenen Exanthemen, insbesondere skrofulöser Natur, Ekzemen, namentlich bei Kindern, Crustalactea, Akne, Impetigo und Pruritus vulvae.
Als gutes Blutreinigungsmittel, insbesondere als Diuretikum, wird Viola als Adjuvans auch bei allen Erkrankungen, bei denen eine Förderung des Stoffwechsels angebracht erseheint, wie Rheuma, Gicht, Arteriosklerose, Obstipation und Blutkrankheiten (Syphilis, Gonorrhöe) gegeben. Weiter werden Erkrankungen der Harnorgane (Harndrang, Enuresis, Harngrieß, Nierenschwäche), Erschöpfungszustände, nervöse Herzbeschwerden, Erkältungskrankheiten, Hysterie, Krämpfe, Augenleiden und Diarrhöe vereinzelt als Indikationen genannt.
C. Wilhelm gebraucht das Viola tricolor D 2 im Wechsel mit Cantharis D 4 noch gegen Atemnot.
Als Wechselmittel werden Graphites und Hepar sulfur. genannt. Vor allem ist aber die Verordnung im Teegemisch mit Juglans regia beliebt.
Angewandter Pflanzenteil:
Allgemein wird das Kraut bzw. das blühende Kraut als arzneilich verwendet bezeichnet: Bock, Matthiolus, Lonicerus, Hufeland, Wasicky, Schulz, Hager. Bohn und Thoms nennen Blätter und Blüten.
Das HAB. schreibt zur Bereitung der Essenz das frische blühende Kraut vor. Dieses Ausgangsmaterial wird auch zur Herstellung des "Teep" benutzt. Sammelzeit: August bis September.
Herba Violae ist offizinell in Deutschland, Österreich, in der Schweiz, in Rumänien und Portugal.
Dosierung:
- Übliche Dosis:
Maximaldosis:
Rezepte:
Als Blutreinigungsmittel bei Ekzemen und Exanthemen:
- Rp.:
1 Teelöffel voll wiegt 1,6 g. Der Tee kann kalt oder heiß mit etwa 1 Teelöffel voll angesetzt werden.).
Als Species depurativae (Helvet. V):
Vgl. Rezeptvorschriften bei Guajacum officinale S. 1502.
Species diureticae (Helv.):
- Rp.:
Bei Hautleiden (nach Czerwinsky):
- Rp.:
Bei Ekzemen (nach Theißmann):
- Rp.:
Bei Skrofulose (nach Klemperer-Rost):
- Rp.:
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.