Hamamelis. Virginischer Zauberstrauch. Hamamelidaceae.
Name: Hamamélis virgínica L. (= H. macrophylla Pursh). Virginischer Zauberstrauch, Virginische Zaubernuß oder Hexenhasel. Französisch: Noisetier de la sorcière; englisch: Witch hazel; italienisch: Amamelide; polnisch: Oczar; russisch: Gamamelis; tschechisch: Vilín virginský.
Namensursprung: Der Name Hamamelis ist zusammengesetzt aus hamatus = hakig und melum vom griechischen μίλον (mέlon) = Apfel, also bedeutet Hamamelis soviel wie Hakenfrucht. Die Namen Zaubernuß, Zauberstrauch verdanken ihre Entstehung dem Umstand, daß der Baum in demselben Jahre vor dem Blühen Früchte trägt.
Botanisches: Der bis 7 m hohe Strauch mit schiefen, haselähnlichen, am Rande grob gekerbten oder gezähnten Blättern ist in den Laubmischwäldern des östlichen Nordamerika viel als Unterholz anzutreffen. Seine kleinen, unscheinbaren gelben Blüten entfalten sich erst im September bis Dezember, nachdem das rotgefärbte Laub längst abgefallen ist. Erst im nächsten Sommer reifen die haselnußähnlichen Früchte und platzen dann mit solcher Heftigkeit, daß die Samen bis 4 m weit fortgeschleudert werden. - Gut erhaltene Blüten eines Verwandten sind im Bernstein der Ostsee gefunden worden. Bei einer histologischen Prüfung eines Schnittes durch einen Hamameliszweig fällt auf, daß die Leit- und Gefäßbündel nicht parallel zur Achse laufen, wie allgemein üblich, sondern verkürzt erscheinen, durcheinanderlaufen, auch ineinander, ein Gefäß quer durch das andere geht.
Geschichtliches und Allgemeines:
Die Abkochung der Rinde und der Blätter wird von den Eingeborenen gegen viele Krankheiten verwendet. Die Zweige wurden von ihnen als Wünschelrute zum Auffinden verborgener Schätze benützt. Im Jahre 1736 führte Collinson die Pflanze nach Europa ein. Die ölreichen, mehligen Samen haben einen angenehmen Geschmack und dienen als Genußmittel.
Das Destillat aus frischen Blättern und Zweigen ist in den Vereinigten Staaten von Amerika eins der bekanntesten und beliebtesten Volksmittel. Es trägt den etwas irreführenden Namen "Hamamelisextrakt", obgleich es nur ein Wasserdampf-Destillat ist. In Spezialfabriken wird der Extrakt in großen Mengen gewonnen und in Fässern u. U. mit 10% Alkoholzusatz in die ganze Welt verschickt. In Amerika findet man ihn in jedem Barbierladen. Mit dem angenehm duftenden "Extrakt", der unter dem Namen "Hazeline" oder "Witch hazel" im Handel ist, wird man nach dem Rasieren eingerieben.
Wirkung
Schon die nordamerikanischen Indianer wandten Hamamelis als entzündungswidriges Mittel an (Wasicky, Lehrb. d. Physiopharm., 1932, S. 267.).
In der amerikanischen Medizin (Potter, Handbook of Materia Medica, Pharmacy and Therapeutics, 1898, S. 299.) wird es mit gutem Erfolge äußerlich und innerlich gegen Hämorrhoiden, insbesondere blutende, Krampfadern und Krampfadergeschwüre, Varicocele, venöse Kongestionen und lokale Entzündungen gebraucht. Weiter wird es sehr empfohlen gegen Hämorrhagien aus Nase, Magen, Darm, Lunge und Nieren, bei drohendem Abort und äußerlich gegen Quetschungen, Beulen, Geschwüre, juckendes Ekzem, Leukorrhöe und Gonorrhöe.
Nach Potter ((Vgl. 2.) scheint ihm ein besonderer Einfluß auf die venöse Zirkulation zuzukommen, ähnlich dem des Aconits auf das arterielle System.
In gleicher Weise ist es auch in Brasilien als Hämostyptikum und Hämorrhoidalmittel bekannt (Guertzenstein, ärztl. Führer durch die brasilianische Pflanzenmedizin, S. 256.). C. B. Inverni (Inverni, C. B., Piante medicinali, Bologna 1933.) nennt es als Adstringens und Tonikum und führt ebenfalls Hämorrhagien und Hämorrhoiden als Indikationen an.
Neuerdings wandte auch Marfori (Marfori, zit. nach Ripperger, Grundlagen zur praktischen Pflanzenheilkunde, 1937, S. 308.) das Fluidextrakt der Hamamelisblätter innerlich zur Krampfaderbehandlung mit gutem Erfolge an. Er konnte durch die löffelweise Verabreichung das Verschwinden der Symptome erzielen, ohne daß irgendwelche bemerkenswerte, sekundäre Erscheinungen, weder auf den Verdauungstraktus noch auf die Zirkulation, beobachtet wurden. Die Zubereitungen aus den Blättern erwiesen sich ihm wirksamer als die aus der Rinde.
In der homöopathischen Literatur (Heinigke, Handb. d. hom. Arzneiwirkungsl., S. 293; Stauffer, Klin. hom. Arzneimittell., S. 502.) werden die gleichen Anwendungsweisen, wie die schon genannten, also Hämorrhoiden, Blutungen und venöse Stauungen, angegeben.
Bei Behandlungsversuchen an Wunden, die experimentell durch Dichlordiäthylsulfid verursacht waren, konnten Keeser, Oelkers und Vincke (E. Keeser, H. A. Oelkers u. E. Vincke, Naunyn-Schmiedebergs Arch. f. exp. Path. u. Pharm., Bd. 180, H. 5/6, S. 557.) entschiedene Besserung durch die Anwendung von Hamamelissalbe und -extrakt und Arnikatinktur beobachten. Sie führen dies darauf zurück, daß es sich bei diesen Mitteln um relativ schwach wirkende Antiseptika und Adstringentien handelt, die nicht einen starken Reiz für die Wunden darstellen, durch die die Pathobiose gefördert, bzw. in Nekrobiose umgewandelt werden kann. Der Versuch mit stärkeren Desinfizientien, Adstringentien oder gar von Ätzmitteln führte dagegen zu Verschlechterungen der Wunden.
Als das wirksame Prinzip der Hamamelis wird der Gerbstoff Hamamelitannin bezeichnet ((Vgl. 1).), der in der Rinde zu 3% (Wehmer, Die Pflanzenstoffe, S. 429.) und in den Blättern zu 6,5% (Esdorn, Süddeutsche Apoth.-Ztg. 1936, Nr. 84.) nachgewiesen wurde und sich in Gallussäure und Zucker spaltet. Außer diesem Gerbstoff wurden in der Rinde ätherisches Öl mit Sesquiterpen, fettes Öl mit Phytosterin-Estern der Ölsäure, Palmitinsäure und einer C-reicheren Fettsäure und wenig Triglyzeriden gefunden ((Vgl. 10).).
Mercier und Balansard (Mercier et Balansard, Compt. rend. Soc. Biol. Paris 1936, Bd. 121, S. 761.) konnten in den getrockneten Blättern 0,18-0,2% Cholin nachweisen. Daneben fanden sie ein saures Saponin und ein wasserlösliches Glykosid. Bei der Injektion von Hamamelisextrakten, die von Alkohol befreit und mit physiologischer Kochsalzlösung zum ursprünglichen Volumen ergänzt wurden, beobachteten die genannten Autoren beim Hund Blutdruckabfall, Abnahme des Nierenvolumens, Atmungsbeschleunigung und Stillstand der Darmbewegungen.
Wurden die obengenannten Einzelbestandteile dem Hund injiziert, so blieb die Wirkung hinter der des Gesamtextraktes zurück. Sie suchen die stärkere Wirkung durch eine Permeabilitätsveränderung durch die Saponine zu erklären.
Größere Gaben von Hamamelis können klopfenden Kopfschmerz verursachen ((Vgl. 2).).
In meinem biologischen Laboratorium wurden in Hamamelis wundheilungsfördernde Stoffe nachgewiesen, ferner in der homöopathischen Tinktur Vitamin C (Nach eigenen Untersuchungen; vgl. auch Madaus Jahrbuch 1933, S. 19 u. Kuhn u. Schäfer, Pharm. Zentralh. 1935, Bd. 76, S. 617.).
Anwendung in der Praxis auf Grund der Literatur und einer Rundfrage:
Hamamelis wird innerlich und äußerlich außerordentlich oft und gern bei Entzündungen und Erweiterungen der Venen verordnet, also bei Varizen, Ulcus cruris, Varicocele, Hämorrhoiden*), Phlebitis, Thrombose und Embolie. Bei Phlegmonia alb. dol. gibt man von der Tinktur dreimal täglich 15-20 Tropfen im Wechsel mit Mercurius solub. D 4 tabl. dreimal täglich 1 Tablette, Blutegel, Hochlagerung und nach Abklingen der heftigsten Entzündungen Heftpflasterverband (nach Pöller).
Als sehr gutes Hämostyptikum hat sich Hamamelis ferner bei Hämorrhagien von hellem Blut aus allen Organen, speziell aus Lunge, Uterus, Darm und Niere bewährt. Bei Nierenblutungen wird das Mittel ganz besonders von Weissel empfohlen, der bei einer 72jährigen Patientin sehr gute Erfolge damit hatte. Nicht weniger wird Hamamelis als Wundheilmittel besonders bei alten Wunden geschätzt. Es gelangt auch öfters bei Rissen im After und Frostwunden, sowie bei Pruritus zur Anwendung.
Weniger häufige Indikationen sind Muskelrheuma (hier auch äußerlich zu Einreibungen), Lumbago, Neuralgien, Kopfschmerzen infolge Blutandrang, Struma, Basedow, Orchitis, Dickdarmkatarrh mit Obstipation und Cystitis.
Außerdem empfiehlt Brand Kolberg, Hamamelis-Glycerin zu Einpinselungen des Halses und zu Touchierungen der Augenbindehaut bei Conjunctivitis catarrhalis (das starke Brennen der Augenbindehaut nach der Touchierung läßt nach wenigen Minuten nach). - Ferner läßt er mit Hamamelis Ø (40 Tropfen auf 1 Glas Wasser) bei sehr schmerzhaften Halsentzündungen gurgeln.
Eine Kopfflechte, die jahrelang aller Therapie getrotzt hatte, konnte durch dreitägigen Gebrauch von Hamamelishaarwasser zum Verschwinden gebracht werden.
Gute Wechselmittel sind: Capsella bursa pastoris, Arnica, Tormentilla, Aesculus hippoc. und Erigeron.
+) Beispiel für die Anwendung: (Nach Schier, "Allgemeine homöopathische Zeitung" 1935, Heft 4, S. 196.) Herr Gr., 28 Jahre, wird wegen chronischen Hämorrhoidalleidens mit häufigen starken, schmerzhaften, dunklen Blutungen vom 10. Juli ab homöopathisch behandelt mit Hamamelis D 3 in dreiviertelstündlichem Wechsel mit Nux vomica D 4. Am 17. Juli fühlt er sich subjektiv viel besser, auch die Blutung, die sonst jede Woche einzutreten pflegte, ist ausgeblieben und kommt auch bis zum Abschlusse der Behandlung am 15. August nicht wieder. Am 17. Juli wird Hamamelis D 3 durch Sulfur D 3 ersetzt und vierstündlich abwechselnd mit Nux vomica D 4 gegeben. Am 31. Juli völliges Wohlbefinden. Stuhl regelmäßig, ohne Blut. Am 15. August kann er entlassen werden mit wesentlich gebessertem Blutbild, der Hämoglobingehalt war in dieser Zeit von 43 auf 82% gestiegen.
Angewandter Pflanzenteil:
Als verwendet geben an Potter, Dragendorff sowie Buchheister und Ottersbach: die Blätter, Clarke und Schmidt: die frische Rinde von Zweigen und Wurzeln, Allen, der British Pharm. Codex, Zörnig, Wasicky, Thoms und Marfori-Bachem: Blätter und Rinde. Die Blätter sollen im Herbst, die Rinde im Frühling geerntet werden.
Nach dem HAB. wird die homöopathische Urtinktur aus der frischen Rinde der Zweige und Wurzeln hergestellt (§ 3). Zur Herstellung des Hamamelisextraktes (Hazeline) läßt es die frischen, im Spätherbst gesammelten blühenden Zweige verwenden.
Das "Teep" hat die frischen jungen Zweige, Blätter und Rinde zum Ausgangsstoff.
Folia Hamamelidis sind offizinell in Österreich, Schweiz, Belgien, England, Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Schweden, Japan.
Cortex Hamamelidis ist offizinell in England und Spanien.
Dosierung:
Übliche Dosis:10-15 Tropfen des Extraktes dreimal täglich (Dinand);
In der Homöopathie:Ø bis dil. D 1.
Maximaldosis:Nicht festgesetzt.
Rezepte:
Bei Hämorrhoidalleiden (nach Hager):
- Rp.:
Oder (nach Rost-Klemperer):
- Rp.:
Suppositoria Hamamelidis (F. M. Germ.):
- Rp.:
Als Haarwaschmittel (nach Inverni):
Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938, was written by Dr. Med. Gerhard Madaus.